Antwort auf Wahlprüfstein

Fragenkatalog des vielbunt e.V.

Forderungen der queeren Community in Darmstadt

Forderungen der queeren Community in Darmstadt

Frage 1:

In Darmstadt gibt es keinen physischen Ort des queeren Lebens. LGBT stellen in unserer Gesellschaft nach wie vor eine diskriminierte Minderheit dar und brauchen Begegnungsräume und Schutzorte. Wir fordern ein queeres Zentrum, um ehrenamtliches Engagement in vielfältigen, bereits bestehenden Projekten (z.B. vielbunt Jugendgruppe und vielbunt Trans* gruppe) weiterhin zu ermöglichen und um anderen LGBT und denen, die Erstkontakt zur Community suchen, eine Anlaufstelle zu bieten. Die queere Community braucht ein Zuhause und Ratsuchende eine offene Tür.

In unserer Stadt herrscht ein großer Mangel an Räumlichkeiten für ehrenamtliche politische und soziale Aktivitäten. Viele migrantische Vereine fordern seit langem die Unterstützung durch die Bereitstellung geeigneter und preiswerter Räumlichkeiten, vielleicht in einem „Haus der Migration“. Der kurdische Verein beispielsweise sucht seit über einem Jahr nach einem Vereinslokal, nachdem das bisherige Zentrum im Zusammenhang mit der Aufwertung der Mollerstadt gekündigt wurde. In Eberstadt Süd wird geklagt, dass für größere Feste oder andere Veranstaltungen keine geeigneten Räume zur Verfügung stehen.

Grundsätzlich halten wir es nicht für sinnvoll und machbar, jedem Verein und jeder Initiative kostenlos oder stark vergünstigt eine eigene Räumlichkeit zur Verfügung zu stellen. Wir wollen, dass mit öffentlicher Förderung politisch-kulturelle Zentren eingerichtet werden, in denen Organisationen aller Art eigene kleinere Büros erhalten, und Sitzungs- oder größere Versammlungsräume gemeinsam genutzt werden können. Dies sollte allerdings nicht auf das Thema „Migration“ beschränkt sein. Dadurch würden nicht nur die Ressourcen besser ausgenutzt, sondern auch Kontakte und Querverbindungen zwischen den angesiedelten Organisationen geschaffen. Die Bessunger Knabenschule oder die Oetinger Villa haben eine solche Funktion, sind aber schon voll belegt und teilweise auch zu stark milieuspezifisch ausgerichtet, um eine allgemeine Lösung darzustellen. In diesem größeren Rahmen könnte auch ein queeres Zentrum eingerichtet werden. Solange solche Möglichkeiten nicht existieren, fordern wir, dass die Stadt die Vereine bei der Suche nach Räumen unterstützt.

Die Initiative für ein politisch-kulturelles Zentrum muss von interessierten Organisationen ausgehen. Ein ohne politische Vorarbeit der potentiellen Nutzergruppen in die Stadtverordnetenversammlung eingebrachter Antrag hätte geringe Erfolgsaussichten. DIE LINKE würde eine solche Initiative unterstützen und könnte durch die eigenen Kontakte insbesondere zu migrantischen Vereinen dazu beitragen, dass eine „kritische Masse“ zustande kommt.

Es ist klar, dass eine Anlaufstelle für den Erstkontakt nicht in einem solchen allgemeinen Zentrum eingerichtet werden kann. Hierzu müssen im Rahmen der in Punkt 2 benannten öffentlich geförderten Projekte spezielle Räumlichkeiten finanziert werden. Diese Projekt-Räume könnten zumindest teilweise die Funktion eine queeren Zentrums erfüllen.

 

Frage 2:

Viele große und kleine Projekte von LGBT-Organisationen werden durch immensen ehrenamtlichen Aufwand mit teilweise unzureichenden finanziellen Mitteln realisiert. Gerade bei der Arbeit, die wir als öffentliche Aufgaben betrachten, fordern wir eine stabile und fortlaufende finanzielle Unterstützung durch die Stadt Darmstadt.

Es darf nicht sein, dass Anti-Diskriminierungsarbeit von Bildung und Aufklärung bis hin zur Unterstützung der Opfer hauptsächlich auf den Schultern ehrenamtlicher Aktiver getragen wird. Solches Engagement ist enorm wichtig, damit diese Aufgaben unabhängig und unbürokratisch erfüllt werden können. Die Stadt ist aber in der Pflicht, den Ehrenamtlichen den finanziellen und räumlichen Rahmen zu sichern, und darüber hinaus auch einzelne – ggf. aus dem Kreis dieser Ehrenamtlichen besetzte – Projektstellen einzurichten. Dabei könnten wir euch mit den Mitteln einer kleinen Fraktion, die wahrscheinlich wieder der Opposition angehören wird, unterstützen, etwa indem wir die künftigen Magistratsparteien durch Anträge an ihre Wahlversprechen erinnern.

Ihr seid nicht die einzigen Aktiven, die sich berechtigterweise über die unzureichende Unterstützung und Finanzierung wichtiger gesellschaftlicher Aufgaben beklagen. Das Problem betrifft daher auch grundsätzliche Aspekte der Kommunalpolitik sowie die Landes- und Bundespolitik. Die öffentlichen Finanzen wurden in den vergangenen zwei Jahrzehnten durch diverse Steuerreformen auf der Einnahmenseite erheblich geschrumpft. Beginnend mit der „Operation düstere Zukunft“ der Koch-Regierung wurden die Ausgaben daran angepasst. Die Ideologie der Schwarzen Null, repräsentiert durch Instrumente wie Schuldenbremse und „Rettungsschirm“, sorgen heute dafür, dass dieses Kürzungsprogramm nicht rückgängig gemacht werden kann. In der Kommune selbst verzichtet die grün-schwarze Koalition ungeachtet der großen Attraktivität der Stadt als Gewerbestandort auf die Anpassung der Gewerbesteuer auf das Niveau vergleichbarer hessischer Großstädte. Dadurch verzichtet sie auf Einnahmen in Höhe von ca. 10 Mio Euro, die auch in eurem Sinne verwendet werden könnten.

 

Frage 3:

Neben Aufklärungsarbeit und Unterstützung einzelner Projekte braucht es auch ein wiederholtes öffentlich sichtbares Bekenntnis der Stadt Darmstadt zu sexueller und geschlechtlicher Vielfalt ebenso, wie die klare Positionierung gegen Homophobie und Transphobie, damit LGBT sich in ihrer Stadt anerkannt, willkommen und zugehörig fühlen. Beim Christopher Street Day 2015 haben viele Organisationen, Einrichtungen, Geschäfte und Privatmenschen durch Regenbogenfahnen an ihren Häusern Solidarität gezeigt. Wir fordern ein solches Zeichen künftig auch an allen öffentlichen Gebäuden der Stadt Darmstadt. Ebenso fordern wir fernab des Christopher Street Days ein Statement der Stadt Darmstadt. Sei es zum Internationalen Tag gegen Homophobie und Transphobie jährlich am 17. Mai oder an einem eigenen Darmstädter Aktionstag.

Die Regenbogenfahne ist – sowohl als Symbol der LGBT- als auch (in leicht abgewandelter Form) der Friedensbewegung – eine sehr angenehme Alternative zu staatlichen Hoheitssymbolen und kann aus unserer Sicht gerne flächendeckend an öffentlichen Gebäuden gehisst werden. Dass die Stadt außerdem auch zu weiteren Anlässen außerhalb des CSD Flagge zeigen möge ist eine sinnvolle Anregung. Angesichts des Erstarkens rechter Aktivitäten rund um PEGIDA, AfD und die „besorgten Bürger“ ist auch symbolische Politik wichtig, um solches Gedankengut zurück zu drängen.

 

Frage 4:

Es gibt in Darmstadt bisher keine aktive LGBT-Flüchtlingsarbeit. Die meisten Geflüchteten, die in Darmstadt ankommen und voraussichtlich bleiben werden, stammen aus Ländern, in denen Homosexualität verboten und unter Strafe gestellt ist. Ebenso bestehen bis in die Flüchtlingsunterkünfte gesellschaftliche Tabus und Diskriminierungsformen. Auch in Deutschland sind nicht-heterosexuelle bzw. trans* Geflüchtete gefährdet, müssen um ihre Sicherheit fürchten und können sich oft an niemanden wenden, um Hilfe zu erhalten. Auch die erfolgreiche Integration in eine Gesellschaft, in der sie nicht kriminalisiert und verfolgt werden, brauchen LGBT-Flüchtlinge Unterstützung. Die Stadt Darmstadt muss die sensible Thematik von LGBT-Flüchtlingen im Fokus haben und gewährleisten, dass auch in Flüchtlingsunterkünften niemand aufgrund seiner_ihrer sexuellen Identität diskriminiert oder bedroht wird. Ebenso muss es besondere Beratungs- und Betreuungsangebote für nicht-heterosexuelle bzw. trans* Geflüchtete geben.

Nötig sind die kostenlose medizinische, psychologische und psychosoziale Versorgung für LGBT- Flüchtlinge, Weiterbildungsangebote für die Mitarbeiter/innen im Sozialdienst bezüglich der Belange von Geflüchteten mit LGBT-Hintergrund sowie anonyme Notrufnummern und andere sichere Anlaufstellen. Nur mit direkter Anbindung an eure Community können Beratung und Betreuung die volle Wirkung entfalten. Dies wären Aufgaben, die von einer Beratungsstelle und/oder in einem queeren Zentrum gut geleistet werden könnten. Auch hier zeigt sich, wie die Kürzungspolitik der Vergangenheit nun die Möglichkeiten zur angemessenen Versorgung der Geflüchteten einschränkt. Eine Anerkennung von Handlungsbedarf durch den Magistrat könnte eurer Forderung nach der Finanzierung entsprechender Projekte Nachdruck verleihen. Eine entsprechende Initiative sollte – gern mit unserer Unterstützung – möglichst bald nach der Konstituierung der neuen Stadtverordnetenversammlung gestartet werden.

Einfache Lösungen für die Probleme von LGBT-Flüchtlingen im Rahmen der Massenunterkünfte und Notaufnahmen gibt es wohl nicht. Die Schaffung von gesonderten Bereichen innerhalb solcher Unterkünfte ist offensichtlich nicht sinnvoll. Ob sich für die von einigen geforderte Unterbringung in spezielle Erstaufnahmeeinrichtungen dann auch tatsächlich die Zielgruppe gleich bei der Einreise „outen“ würde, müsste sich zeigen. Die Entscheidung über solche Einrichtungen trifft ohnehin die Landes- oder Bundesebene.

Geschützten Wohnraum bereit zu stellen ist einfacher für die der Kommune zugewiesenen „Kontingentflüchtlinge“. Es gibt bereits spezielle Wohnbereichen für Frauen, Kinder und Familien oder unbegleitete Jugendliche. Deshalb ist es äußerst wichtig, dass die Wartezeiten in Massenunterkünften möglichst kurz bleiben. Durch ihre restriktive Asylpolitik verlängert die Bundesregierung jedoch die Zeit bis zur dezentralen Unterbringung in kleineren oder individuellen Wohneinheiten in unerträglicher Weise. Das ist für LGBT-Flüchtlinge besonders hart. Die Einzelfallprüfung für Kriegsflüchtlinge muss wieder aufgehoben werden. Repression aufgrund der sexuellen Identität ist als Fluchtgrund anzuerkennen.

 

Frage 5:

Immer wieder melden sich Eltern, deren Kinder unter 14 Jahren sich zum gleichen Geschlecht hingezogen fühlen oder erklären, dass sie sich mit ihrem Geburtsgeschlecht nicht identifizieren können. Die bestehenden Beratungsstellen sind für diese Altersgruppe nicht ausreichend spezialisiert und wenden sich in solchen Fällen hilfesuchend an vielbunt e.V. Wir können jedoch weder für Kinder noch Eltern eine versierte Beratung anbieten. Wir fordern, für solche zwar seltenen aber dafür besonders sensiblen Fälle ein Hilfsangebot sicherzustellen.

Diese Forderung sollte im Rahmen einer ausreichend geförderten Beratungsstelle nach den Punkten 1 und 2 erfüllbar sein.

 

Frage 6:

Queere Belange benötigen in der Stadtverwaltung einen Ort. Derzeit wissen Menschen in Darmstadt bei LGBT-spezifischen Angelegenheiten nicht, an welche Stelle sie sich wenden können und wer jeweils der_die richtige Ansprechpartner_in der Stadt Darmstadt ist. Auch die Stadtverwaltung braucht eine Zuständigkeit, um an LGBT-Themen professionell zu arbeiten. So wie es auch städtische Beauftragte für Frauen, Jugend, Migrant_innen etc. gibt, fordern wir einen Ansprechpartner_in für sämtliche Angelegenheiten von Schwulen, Lesben, Bisexuellen und Trans*. Ein_eine solche städtischer Beauftragte_r könnte auch zuständig sein für einen kommunalen Aktionsplan gegen Homophobie und Transphobie, der den Aktionsplan für Akzeptanz und Vielfalt des Landes Hessen ergänzt.

Wir unterstützen diese sinnvolle Forderung. Die Widerstände gegen ihre Umsetzung ergeben sich sicherlich auch durch die angespannte Personalsituation in der Stadtverwaltung. Auch hier zeigt sich, dass die Kürzungspolitik, hier in Form des von der grün-schwarzen Koalition fortgeführten Personalabbaus, beendet werden muss: seit 2011 wurden bei der Stadt in den Bereichen ohne Sozial- und Erziehungsdienst 5,5% der Planstellen abgebaut, Mitte 2014 waren darüber hinaus 8% der bestehenden Stellen unbesetzt. DIE LINKE fordert zur Verbesserung der städtischen Dienstleistungen und zur Entlastung der Beschäftigten die Schaffung neuer Stellen und die schnellere Besetzung bestehender Stellen.

Unabhängig von Fragen des Stellenplans muss es aber möglich sein, auch kurzfristig eine/n „nebenamtliche/n“ Beauftragte/n für LGBT-Angelegenheiten zu benennen.

 

Frage 7:

Auch in Darmstadt wurden Männer wegen ihrer Homosexualität verhaftet, in Konzentrationslager verschleppt und ermordet. Dieser Opfergruppe wird in Darmstadt weder gedacht, noch hat eine umfassende Aufarbeitung der Verfolgung von Homosexuellen in der Zeit des Nationalsozialismus und auch in der jungen Bundesrepublik stattgefunden. Wir fordern, sich mit diesem Aspekt der Geschichte auseinander zu setzen. Hierbei geht es um eine angemessene Aufarbeitung und einen Ort des Gedenkens, Erinnerns und Mahnens.

Unsere Fraktion beschäftigt sich seit zwei Legislaturperioden mit der Aufarbeitung der deutschen Vergangenheit in Darmstadt und hat dabei auch parlamentarisch einiges erreicht. Zwar wird die Frage nach der Umbenennung der Hindenburgstraße weiterhin von der Koalition nicht aufgegriffen. Doch es ist gelungen, eine Überprüfung der städtischen Ehrengräber auf braune oder militaristische Vergangenheit zu veranlassen. Diese hat die Streichung von sieben Gräbern aus der Ehrenliste geführt. Wir sind gerne bereit, unsere geschichtspolitische Arbeit auch auf die Verfolgung von homosexuellen Menschen zu erweitern, bzw. entsprechende Initiativen zu unterstützen. Ähnlich wie bei der Frage der Ehrengräber könnten wir ein  historisches Gutachten aus Fraktionsmitteln finanzieren.

Die Aufstellung eines Mahnmals an einem geeigneten Ort werden wir im Parlament unterstützen. Die Initiative dazu sollte aus der Community kommen.