Protest gegen Privatrenten-Lobbyist Bert Rürup im Kreishaus

Eine konstruktive Intervention unter dem Motto "Wir zahlen nicht für eure Krise"

Am 24.3. war Privatrenten-Lobbyist Bert Rürup von Landrat Alfred Jakoubek ins Kreishaus Darmstadt-Dieburg in Kranichstein eingeladen, um unter dem Titel "Nach dem Tsunami auf den Finanzmärkten - wie weiter?" dem politischen Establishment des Landkreises Darmstadt-Dieburg alten Wein in alten Schläuchen einzuschenken.

Ein Bündnis von Mitgliedern der LINKEN, UFFBASSE, DKP und anderen Aktiven hat die anwesenden Mandatsträger aus ihrer selbstgerechten Gemütlichkeit gerissen und den Skandal benannt, dass die gleichen "Experten" nach einer Lösung gefragt werden, die schon für die Krise verantwortlich sind. Unter dem Motto "Wir zahlen nicht für eure Krise" hielt der Vorsitzende der Kreistagsfraktion DIE LINKE-DKP Walter Busch-Hübenbecker einen unerwünschten Redebeitrag, den die große Mehrheit der Gäste nicht hören wollte und daher den Saal verließ.

Berichte im Darmstädter Echo und in der Frankfurter Rundschau vom 26.3.2009

Lesen Sie unten den Wortlaut der Rede! Kommen Sie am Samstag, den 28.3. mit uns nach Frankfurt und demonstrieren Sie gegen das katastrophale Krisenmanagement der Bundesregierung und für eine solidarische Gesellschaft!

 

Galerie "Go In im Kreishaus"

Wir zahlen nicht für eure Krise! - Für eine solidarische Gesellschaft

Rede von Walter Busch-Hübenbecker

Einen schönen Abend, meine Damen und Herren,

die Sie eingeladen sind vom Dialogforum des Landkreises Darmstadt-Dieburg, um Herrn Rürup zur Finanzkrise zu hören.

Wir wollen jedoch, bevor Sie sich diesen Vortrag anhören, auf eine andere Sichtweise des heutigen Referenten aufmerksam machen, zumindest zum Nachdenken aus Sicht der Arbeitnehmer, der Rentner und der Hartz-IV- Bezieher anregen. 

Herr Rürup war der Reform- und Renten-"Papst" der grün-rot-schwarzen Ära, bevor er am 19.11. 2008 seinen Karrieresprung zum "Chefökonom" beim AWD (Allgemeiner WirtschaftsDienst) verkündete. Die AWD Holding AG gehört zu den größten Finanzvertrieben Europas. Als Strukturvertrieb organisiert, vermittelt der AWD die Produkte durch formal selbstständige Handelsvertreter, die auf Provisionsbasis bezahlt werden.  

Carsten Maschmeyer, der Gründer des AWD, sprach nach Einführung der Riester- und Rürup-Rente davon, dass seine Branche "wie auf einer Ölquelle" sitze. Herr Rürups Wechsel zum AWD ist somit als schamlose Selbstdemaskierung des Chefarchitekten der "Reformen" nicht mehr zu überbieten.

Die bisherigen Aktionsfelder von Herrn  Rürup beschreibt "Spiegel-online":

Seinem Ruf als Renten- und Demographieexperten folgend war er 1999 Mitglied der Kommission zur Vorbereitung der Riester-Rentenreform, also der Einführung der staatlich geförderten Privatvorsorge. Im März 2000 wurde er zum Wirtschaftsweisen berufen, im September zum Vorsitzenden des Sozialbeirats für die Rentenversicherung.

Im April 2002 übernahm er zunächst den Vorsitz einer sechsköpfigen Reformkommission zur Rentenbesteuerung - die sich mit dem Auftrag des Bundesverfassungsgerichtes zur Gleichbehandlung von Renten und Pensionen herumplagte und die Grundlage für die 2005 in Kraft gesetzte Reform legte. Im Herbst desselben Jahres durfte sich Herr Rürup mit 25 weiteren Experten in der nach ihm benannten Kommission gleich die Reform aller Sozialsysteme vornehmen.

Im Herbst der akuten Finanzkatastrophe, vor der großen Wertberichtigung, in der sich die von Herrn Rürup maßgeblich propagierten "Reformen" als Umverteilungsskandal, als wirtschaftspolitisches Desaster und als Treibsätze in die Rezession erwiesen, beging Herr Rürup "Fahrerflucht" als Finale einer politökonomischen Geisterfahrt.

Das von Herrn Rürup hinterlassene Herbstgutachten vom November 2008 enthält noch eine blanke Kriegserklärung an heutige und künftige Rentnergenerationen.

Welches war die herausragende Rolle des Dr. Dr. h.c. Hans-Adalbert Rürup, ausgezeichnet von Ministerin Ulla Schmidt mit dem Großen Verdienstkreuz des Verdienstordens der Bundesrepublik Deutschland?

Er war die Schlüsselfigur des Rot-Grünen Wortbruches nach der Bundestagswahl 1998. Unter der Parole "gegen den Kohlschen Sozialabbau" wurde Gerhard Schröder gewählt. Nach der Wahl wurde mit der Agenda 2010, besonders mit den Hartz -Gesetzen und der Riesterschen Rentendemontage der massivste Sozialabbau nach dem 2. Weltkrieg in Szene gesetzt. Eine CDU-Regierung hätte diesen Wunschkatalog der Unternehmerverbände und der Finanzindustrie in diesem Umfang nicht durchsetzen können.

Als SPD-Mitglied, hochgelobter "Experte" im Gewand des neutralen Sachverständigen, konnte Herr Rürup mit hoher Überzeugungskraft die angebliche Unvermeidlichkeit der neoliberalen Reformen wissenschaftlich verbrämen. Herr Rürup agierte vor dem Hintergrund jahrelanger Lobbyarbeit der Unternehmerverbände, der Finanzwirtschaft, von Medienkonzernen und unternehmerfinanzierten Meinungsfabriken wie der "Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft" dem "Deutschen Institut für Altersforschung" oder der Bertelsmann-Stiftung.

Nach deren Mythen von der Alterung der Gesellschaft und der Globalisierung war ohne drastische Niveausenkung eine nachhaltige Finanzierung der Rente angeblich ausgeschlossen. Herr Rürup verschaffte diesen Glaubenssätzen Eingang in weite Kreise der Sozialdemokratie, Teile der Gewerkschaften, der Verbraucher- und Sozialverbände. Seine vulgärökonomischen Thesen drangen tief ins politische Bewusstsein. Er verstand es als Vorsitzender der Rürup-Kommission, den restlichen Widerstand gegen die "Reformen", insbesondere gegen die Demontage der gesetzlichen Rente, zu marginalisieren und konnte so dem umfassend aufgebauten Druck der Unternehmer- und Finanzlobby zum entscheidenden Durchbruch verhelfen.

Bei all seinem unerbittlichen Eifer für die "Senkung der Arbeitskosten" und Lohnzusatzkosten, für Rentenabbau oder "Rentenmindersteigerungen" hat Herr Rürup vorgetäuscht, er sei "keineswegs ein glühender Anhänger des kapitalgedeckten Systems". Diese Finte machte ihn aber gerade zum effektivsten Wegbereiter dieses Systems, denn eine vollständige Umstellung auf Kapitaldeckung wäre ohnehin weder durchzusetzen noch finanzpolitisch realisierbar gewesen. Er propagierte als "moderaten Weg" das "3-Säulen- oder 3-Schichten-Modell", einen "gesunden Mix" nach der Weisheit des klugen Huhns, das seine Eier ja bekanntlich nicht in ein einziges Nest legt.

Die Arbeitskosten senken – war das Apriori des Herrn Rürup auch in der Rentenfrage. Die "Stabilität und Nachhaltigkeit der gesetzlichen Rentenversicherung" war nach diesem Dogma nur durch rücksichtslose Dynamisierung nach unten zu sichern. Der eigentliche Zweck, das jährlich im hohen zweistelligen Milliardenbereich liegende Umverteilungsvolumen von unten nach oben, blieb peinlichst im Dunkeln. In den Herbstgutachten des Sachverständigenrates findet man keinerlei konkrete Zahlen über das negative Konjunkturprogramm des Milliarden-Kaufkraftentzugs durch Rentenkürzungen und Riestersparen, geschweige denn über die dem Finanzsektor zugespielten astronomischen Summen. Macht man sich dies klar, kann man darin nur einen höchstsachverständig verschleierten Betrug mit eindeutigem Interessenhintergrund erkennen.

Im Herbstgutachten 2007 wurde noch eine "schwungvollere Entwicklung des inländischen Konsums" als Rettungsanker der "wirtschaftlichen Expansion" vorhergesagt.

Im Gutachten vom November 2008 stellen dieselben Experten - gleich Zauberlehrlingen - das exakte Gegenteil, nämlich eine "ausgeprägte Konsumflaute" fest.

Meine Damen und Herren, Sie müssen zugeben: "Die positive Beschäftigungsentwicklung der letzten Jahre reichte … nicht aus, um insbesondere die deutlich negative Entwicklung der monetären Sozialleistungen (!!) sowie die schwache Reallohnentwickung … auszugleichen". Und, … "es könnte vermutet werden, dass der ermittelte Strukturbruch" - ein vielsagender Fachbegriff einer Analyse mittels Fehlerkorrekturmodell – "die Folge eines temporären Anstiegs der Sparneigung im Zuge von Altersvorsorgebemühungen ist." Das ist eigentlich ein – wenn auch verschämt und verklausuliert angedeuteter - Offenbarungseid der gesamten Umverteilungspolitik, für die Herr Rürup  steht.

Die Lohnsenkungsstrategie der Hartz-Reformen, der Abbau der Arbeitslosenunterstützung und die "Entlastung" der gesetzlichen Rentenkassen um jährlich Dutzende von Milliarden erweisen sich nämlich als Zusatztriebwerke in die Rezession.

Die "automatischen Stabilisatoren", als antizyklisch wirkende Nachfragestützen wurden "nachhaltig" kurz- und klein reformiert.

Doch es gibt für Herrn Rürup keine Wende auch in der rentenpolitischen Geisterfahrt, eine Revision beispielsweise der Riesterreformen kommt natürlich auf keinen Fall in Frage. Im Kapitel 6 des aktuellen Herbstgutachtens geht es trotzig ums rücksichtslose Durchhalten unter der Überschrift "Wider die Halbherzigkeit":

Scharf kritisierte Rürup schon im März 2008 die von der Regierung in unfreiwilliger Realsatire als "Teilhabe der Rentner am Aufschwung" gepriesene Anpassung um lächerliche 1,1% als "zu hoch" und warnte die Regierung, sie setze "die Glaubwürdigkeit ihrer eigenen Reformen aufs Spiel."

Im Herbstgutachten 2008 beschwört der Sachverständigenrat inständig die Regierenden, es sei "eine definitiv falsche Option", die Rentenpolitik der letzten Jahre und den Ausbau der kapitalgedeckten Systeme zurückzudrehen. Dies "verlangt von der nächsten Bundesregierung ein außerordentliches Maß an rentenpolitischer Standfestigkeit" vor dem Hintergrund einer "Kumulation von Dämpfungswirkungen und daher besonders niedrigen jährlichen Rentenerhöhungen" am Anfang des nächsten Jahrzehnts, "die es politisch zu verkraften gilt".

Seit 2004 haben die Renten real ca. 10 % an Kaufkraft verloren. Dies gilt genauso für Arbeitslose und ALG II - Bezieher. Und das soll auch 2009 und danach so weiter gehen.

Die Regierungspolitik beraubt massiv die heutigen Rentner und noch mehr die heute Arbeitenden, die zukünftigen Rentner. Die Lohnempfänger von heute sind die Rentner von morgen, deren Verarmungsprozess sich zu einem gesellschaftlichen Skandal ausweitet.

Von der Absenkung der gesetzlichen Rente profitieren die Arbeitgeber jährlich mit einem 2-stelligen Milliardenbetrag. Die Beitragszahler sollen dafür das Doppelte aus eigener Tasche für die "Privatvorsorge" bezahlen. Während die Verwaltung der gesetzlichen Rente weniger als 2 % kostet, kassieren Finanzkonzerne mit der Riester-Rente 10 bis 20 %.

Für 2010 und 2011 sind Rentenanpassungen von rund 0,6% angekündigt, die "bei schwachen Lohnsteigerungen noch niedriger" ausfallen würden - wovon man ausgehen muss. Eine Kriegserklärung an heutige und künftige Renterinnen und Rentner.

Meine Damen und Herren des Dialogforums: Unter dem Motto

"Wir zahlen nicht für Eure Krise"

fordern wir einen Schutzschirm für die Menschen und nicht die Absicherung der Millionäre.

Für einen sozialen Schutzschirm für Beschäftigte, Erwerbslose und RentnerInnen: armutsfester gesetzlicher Mindestlohn. Weg mit Hartz IV und Agenda 2010, für sofortige Erhöhung des Eckregelsatzes - existenzsichernd und ohne Sanktionen gegen Erwerbslose. Weg mit der Rente mit 67, für armutsfeste Renten ohne Lebensarbeitszeitverlängerung. Arbeitszeitverkürzung ohne Lohnverzicht statt Massenentlassungen und Arbeitslosigkeit. Die notwendige Konversion z.B. der Automobilindustrie darf nicht auf dem Rücken der Beschäftigten stattfinden

Der Deutsche Gewerkschaftsbund, der Paritätische Gesamtverband, der Sozialverband VdK Deutschland, der Sozialverband Deutschland, die Katholische Arbeitnehmer-Bewegung Deutschlands, der Bundesverband Evangelischer Arbeitnehmerorganisationen, der Deutsche Frauenrat und weitere Verbände haben sich zusammengeschlossen mit der Forderung:  "Rücknahme des Gesetzes zur Rente mit 67, Abschaffung des Nachholfaktors in der Rentenformel, Anhebung des gesetzlichen Rentenniveaus über die Grundsicherung, alle Erwerbstätige erfassende, paritätisch finanzierte, gesetzliche Rentenversicherung nach dem Umlageverfahren = Erwerbstätigenversicherung".

Die gesetzliche Rente hat in früheren Zeiten jegliche Alterung der Gesellschaft bei wachsendem Wohlstand für alle verkraftet und das ist auch künftig möglich, wenn Arbeitende und Rentner am Produktivitätsfortschritt teilhaben.

Wir bedanken uns für Ihre Aufmerksamkeit.